Das Ristorante „Bei Mario“ im Münchner Universitätsviertel ist das, was man einen Traditionsbetrieb nennt. Das Ambiente der Pionierzeit ist noch deutlich spürbar, wenn man das Restaurant betritt. Linkerhand ein großer, gemauerte Pizzaofen, wo von der Straße einsehbar ein Pizzabäcker die Teigfladen knetet, belegt und in den Ofen bugsiert. Gegenüber der Bar die übliche Vitrine mit italienischen Vorspeisen. Im geräumigen Gastraum Fotos von Bella Italia und allerlei Nippes, glücklicherweise keine Korbflaschen und Fischernetze – vielleicht gab es sie bei Mario auch nie, das weiß ich nicht so genau.
Vorwiegend männliches, südländisch aussehendes Personal wuselt gestikulierend von Tisch zu Tisch. Besonders gefragt bei den Gästen sind die mit hölzernen Balustraden abgegrenzten, intimen Nischen, ähnlich den „Boxen“ in den Festzelten auf dem Oktoberfest. Wer hier sitzen will, sollte reserviert haben.
Prinzipiell ein Ort zum Wohlfühlen, da gibt es nichts. Erfreulich retro und keineswegs geschmacklos. Ja, so war es, als die Deutschen ihre bis heute nahezu unverbrüchliche Liebe zu Italien entdeckten, wenn diese auch, wie nicht zuletzt Gerhard Polts unvergesslicher Streifen „Man spricht deutsch“ vorführt, von mancherlei Missverständnissen geprägt war. Aber das gilt sicher für beide Seiten.
Mario Gargiulo war nicht der erste Italiener, der in Deutschland eine Pizzeria eröffnete – das geschah schon 1952 in Würzburg – doch als er im Jahre 1966 sein erstes eigenes Restaurant in München eröffnete, war die Italowelle noch längst nicht auf ihrem Höhepunkt angekommen. Aus Salerno in Süditalien stammend, war er 1956 nach Bayern gekommen, weil er sich in eine Frau aus Ravensburg verliebt hatte. Doch aus dem gemeinsamen Lokal in Memmingen wurde nichts, so landete er in München, wo er zunächst als angestellter Küchenchef arbeitete, bis er 1966 sein eigenes Ristorante eröffnete.
Es war eine Einwandererkarriere wie aus dem Bilderbuch und nicht zu vergleichen mit den Hängematten-Lebensläufen heutiger Migranten. Mario Gargiulo erzählt Reportern immer wieder, wie wichtig Fleiß sei. „Von 1960 bis 1966 habe ich Tag und Nacht gearbeitet“, sagt er. Faulenzen ausgehen, kam für den jungen Mann nicht in Frage, stattdessen spart er eisern und konnte sogar noch Geld in die Heimat schicken. In seinen ersten Laden in der Münchner Hiltenspergerstraße steckt er 30 000 Mark Erspartes, um das heruntergekommene Lokal zu modernisieren und mit einem richtigen Pizzaofen auszustatten. Heute residiert er in der Adalbertstraße in einem typischen Betonbau aus den 70er Jahren. Auch ziemlich retro. Das Szepter hat zwischenzeitlich seine Tochter in der Hand.
So schön also und so gut – wenn nicht das Essen wäre. Wobei die Speisekarte keinen schlechten Eindruck macht. Neben der Litanei der Pizza-Varianten ein paar einfache Suppen, „hausgemachte“ sowie vorgefertigte Pasta, erfreulicherweise auch mehrere Risotti, dazu eine kleine Auswahl typischer Fleisch- und Fischgerichte. Aber die „Secondi“ sind in Italien meist wenig spektakulär. Die Hauptrolle kommt Pasta & Pizza zu. Und den Süßspeisen. „Dolci fatti in Casa“, steht auf der Karte.
Ich selbst gehe eigentlich nur zum Italiener, um mal eine Pizza zu essen. Tiefgefroren oder von zweifelhaften Boten in siffigen Thermorucksäcken geliefert, kommt für mich nicht in Frage. Was es sonst an italienischen Spezialitäten gibt, koche ich meist selbst. Warum 15.- Euro für einen Teller Spaghetti mit Bologneser Sauce oder 35.- Euro für einen gegrillten Fisch mit etwas Blattspinat ausgeben, wenn man das für ein Viertel der Kosten zu Hause mit ein wenig Übung und guten Zutaten weitaus besser hinbekommt.
Das ist doch das Schöne an der italienischen Küche. Sie ist vom Ursprung her eine Armeleuteküche und weit weniger kompliziert als die französische mit ihren komplizierten Saucen oder auch die asiatische Küche mit ihren Fermentationskünsten. Nur eine Pizza bekommt man im eigenen Backofen nicht richtig hin. Es gibt zwar Leute, die leisten sich einen eigenen Pizzaofen mit Steinplatte, der die nötige Höllenhitze bringt. Doch das Trumm steht dann die meiste Zeit ungenutzt in der Gegend herum.
Mario gilt in München als eine der besten Adressen für „Original neapolitanische Steinofenpizza“. Doch was uns dort unlängst serviert wurde, war enttäuschend. Der dicke Rand einer Pizza Siciliana trocken und stellenweise verbrannt, das Innere matschig. Der Belag überdies viel zu dick und zu reichlich, die Artischocken kaum gegart und lauwarm, der gelbliche Käse ohne die übliche Umami-Explosion, die Oliven nicht entsteint, sodass man die Kerne neben dem Teller auf den Tisch werfen musste. Der Herr am Nebentisch säbelte ebenfalls ziemlich lustlos an seiner Pizza herum. Später berichtete er, er habe sie zunächst zurückgehen lassen um sie nochmal in den Ofen zu schieben. Also war mein Reinfall offenbar keine Ausnahme.
Eine gute Pizza muss ziemlich dünn und kross, darf aber nicht hart, der Belag nicht zu üppig sein. Das Beste ist, ja, der Rand! Vielleicht kann man es so formulieren: eine ideale Pizza hat etwa von einem belegten Brot, nur ist sie eben stets frisch gebacken und warm. Und wie immer kommt es auf die Güte der Zutaten an. Industriekäse geht gar nicht.
Schon der Vorspeisenteller kam lieblos zusammengewürfelt auf den Tisch mit allerlei nicht lange genug gebratenen Gemüsen, an Weichplastik erinnernden Mozzarellakugeln und Würfeln eines undefinierbaren, harten Schinkens. Mein Begleiter war von seinen „Cannelloni alla Mario“ (mit Fleischfüllung, Prosciuto und Mozzarella) ebenfalls wenig begeistert, die Teigrollen waren viel zu weich geraten, sodass sie mit der Fleischfüllung und der Bechamelsauce einen mehligen Brei bildeten. Nur die Bohnensuppe zu Beginn war alles in allem ordentlich zubereitet. Zum Nachtisch gönnten wir uns zusammen eine Portion Profiterols – gefüllte Brandteigkugeln mit Schlagsahne und Schokoladensauce – eine Seltenheit auf Speisekarten. Keine süße Offenbarung, aber annehmbar. Der Espresso dito.
Leider war auch der Service nicht besonders aufmerksam und in der Ansprache, nun ja, robust. Man fühlte sich nicht wirklich schlecht behandelt, hatte jedoch trotzdem das Gefühl, ein Bittsteller zu sein. Dass man uns am Katzentisch platziert hatte, obwohl gegenüber ein großer Tisch frei war und es unangenehm zog, komplettierte den unbefriedigenden Gesamteindruck.
Mamma mia, Mario! Warum ist es eigentlich so schwer, etwas im Prinzip so Simples wie eine Pizza oder ein überbackenes Nudelgericht so zu kochen, dass es schmeckt? Personalmangel? Diese immer häufigere Ausrede für schlechtes Essen lasse ich nicht (mehr) gelten. Bildet Euer Personal einfach anständig aus, behandelt es gut und bezahlt es auskömmlich! Das gilt auch für einen Pizzabäcker. Denn so schnöde, wie man meinen könnte, ist dieses Handwerk nicht. Wie alles, was man mit Herzblut macht. Und vor allem daran fehlt es immer öfter. Was wir dringend bräuchten? Pionierzeiten!
Postscriptum: Am Tag nach dem Mahl hatte ich ein gutes Kilo zugelegt, was zu Überlegungen Anlass gibt, wie sich der ausufernde Pizzakonsum der Deutschen auf die Volksgesundheit auswirken könnte.
Foto: Pixabay
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