Das Standardangebot deutscher Bäckereien abseits von Brot, Brötchen und Croissants ist recht überschaubar. Es besteht meist aus Quark- und Puddingtaschen, Rosinenschnecken, Amerikanern, Schweinsohren, Ochsenaugen, Plundergebäck und Teestangen. Manchmal gesellt sich noch Saisongebäck hinzu, wie Weckmänner zum bevorstehenden Nikolausfest, Lebkuchen zu Weihnachten, Osterbrote oder die relativ neu kreierten Halloweentaler und an Fastnacht/Fasching/Karneval natürlich Krapfen/Kreppel/Berliner mit diversen Füllungen und Glasuren.
Besonders innovativ ist die Branche nicht, was kein Schaden sein muss, denn wichtiger als eine unüberschaubare Vielfalt ist immer noch die Qualität und bei der hapert es oft, wenn der Pudding in den Taschen zumeist von Dr. Oetker stammt, die Marmelade in den Teestangen aus der großen Industrietrommel kommt und der Schokoladenüberzug nicht aus Schokolade, sondern aus billiger Fettglasur besteht. Von den oft schauerlich nach Backpulver schmeckenden, ohnehin entbehrlichen Muffins ganz zu schweigen. An der Performance wäre also zu arbeiten, bevor wieder eine neue Sau durch die Backstube gejagt wird.
Gerade hat die Süddeutsche Zeitung (SZ) einem neuen „Trendgebäck“ einen ganzseitigen Artikel gewidmet: der Zimtschnecke. Ohne freilich die Frage befriedigend zu beantworten, warum die ursprünglich aus Skandinavien stammenden Hefeteilchen mit einer Butter-Zimt-Füllung mittlerweile angeblich so beliebt sind, dass sie sogar in eigens darauf spezialisierten Bäckereien angeboten werden wie zuvor Donuts und Cronuts.
Wenn der Münchner Hipster-Bäcker Julius Brandtner jeden Mittwoch ab zehn Uhr seine Zimtschnecken verkauft, stehen Papis mit Baby vorm Bauch geduldig Schlange und maulen selbst dann nicht, wenn sie am Ende leer ausgehen: „Alles gut“. Immerhin ist seine Interpretation recht puristisch, wenn man von der unorthodoxen Kardamonbeigabe absieht.
Die aus Augsburg stammende Trendbäckerei „32 Grad – Werkstatt für Genuss“ bietet dagegen sage und schreibe acht Zimtschnecken-Derivate an – von Zwetschge über Walnuss, Bratapfel und Heidelbeere bis zur Schoko-Schnecke. Sie sind allesamt schrecklich süß und weich und eifern mehr der Tradition US-amerikanischer Cinnamon-Rolls nach als dem skandinavischen Klassiker, den es in Norddeutschland auch in einer feineren, aus Plunderteig gefertigten Variante gibt, dem Franzbrötchen.
Je süßer und bunter umso besser, schließlich geht es nicht zuletzt darum, sich wie das expansive Kölner Zimtschnecken-Startup Cinnamood mit seinen Produkten in den unsozialen Medien optimal zu präsentieren. Ich persönlich mags am liebsten schlicht. Bei mir muss der (zähe) Hefeteig im Vordergrund stehen, dessen Geschmack von der Füllung nicht überlagert, sondern nur begleitet werden darf. Auch auf Zuckerguss kann ich gut verzichten. Eine Zimtschnecke ist und bleibt ein Gebäck und kein Dessert.
Doch unserer Harmonie duseligen „Alles gut“-Gesellschaft, wo unter der Achtsamkeits-Oberfläche oft ideologische Verblendung und Hass brodeln, kann es ja nie zu pappig sein.
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Da muss ich widersprechen, in Österreich hat die zimtschnecke ebenfalls Tradition, allerdings aus Blätterteig mit einer saftigen nuss-zimt-fülle und einer herrlichen dicken zuckerglasur oben drauf. Seit es leider kaum mehr „echte“ Bäckereien, sondern nur noch Industriebackketten gibt, sind die zimtschnecken zu fast wagenradgrossen, aufgepumpten staubtrockenen Schnecken mit bröselfülle (künstliches nussaroma) verkommen und man freut sich als Kind der sechziger, wenn man noch eine annähernd so gute zimtschnecke ergattert, die so wie damals schmeckt…