Tattoo und Wollmütze – Esskultur war einmal

von | Jan 19, 2024 | Aufmacher | 5 Kommentare

Noch vor wenigen Jahren haftete dem Besuch eines Gourmet-Restaurant das Image einer konservativ-steifen Flüster-Veranstaltung an, eingebettet in ein spießiges Ambiente wie aus dem Katalog für geschmacklose Protzpaläste, und dekoriert mit üppigen Blumenarrangements, die man sonst nur auf Beerdigungen von Prominenten zu sehen bekam. Auf den gestärkten weißen Tischdecken standen die handbemalten, zuweilen mit den Initialen des Kochs dekorierten Porzellan-Teller, eingerahmt vom millimetergenau ausgerichtetem, blankgeputzten Silberbesteck aus einer Nobelschmiede. Die für jedes Getränk dekorierten mundgeblasenen Gläser überschritten in der Anschaffung deutlich das Monatsgehalt des in dunklen Anzügen, Männer wie Frauen, agierenden Service, der sich ehrfurchtsvoll in leicht devoter Haltung dem König Gast präsentierte.

Restaurant- und Tischkultur nannte man dieses Phänomen, das für viele als Anachronismus einer kulinarisch dekadenten Elite galt, und von der heute so gut wie nichts übriggeblieben ist. Der Spieß der vermeintlich Spießigen wurde einfach umgedreht. Auf dem Altar des „lockeren Miteinanders“ und der klassenlosen Umarmung bis zur Speisung der Armen wurde dann auch alles geopfert, was einst den Rahmen eines festlichen Essens ausmachte.

„Casual“ heißt das Zauberwort, das uns immer öfter blanke Tische, Besteck wie von Ikea und ein weitgehend schmuckloses Interieur beschert. Da darf es natürlich nicht stören, dass der auf den Händen bunt tätowierte Service mit schwarzer Wollmütze auf dem Kopf lässig seinen Job im Sterne-Restaurant macht, und mit jedem Gast auf Du und Du steht. Schließlich herrscht Personalnot und casual ist unantastbar geworden. Einfach schlucken? Wie vieles, was von den woken Heilsbringern unter dem Deckmantel der Toleranz als gesellschaftlicher Fortschritt verkauft wird.

Schöne, neue Welt? Mitnichten! Denn Casual ist der Feind jener Kultur, die einst die Kneipe vom Restaurant unterschied, den Arbeiter vom Bildungsbürger, den Armen vom Reichen. Die sozialen Unterschiede existieren noch immer, aber sie sollen nicht mehr sichtbar sein. Denn auch die Kleidung, einst Symbol des Standes, unterliegt dem Casual-Wahn. Schmiss man sich früher, um sich selbst in eine feierliche Stimmung zu bringen, in Schale, wenn das Besondere anstand, sieht man heute selbst in den einst heiligen Hallen von Bayreuth Rollkragenpullover, karierte Hemden und Cordhosen. Und das Luxusrestaurant besucht man in einem Outfit, in dem noch vor einer Generation die Landbevölkerung zur Feldarbeit aufgebrochen ist.

Wenn es zutrifft, dass Kultur die Leistungen einer Gemeinschaft als Ausdruck menschlicher Höherentwicklung ist, dann entfernen wir uns immer weiter von einer Leistungsgesellschaft. Von den derzeit politischen Verantwortlichen ist das gewollt und wird vorsätzlich in vielen Bereichen auf den Weg gebracht, während sie selbst ungeniert beträchtliche Summen für ihre mediale Inszenierung ausgeben. Doch Dummheit und Dreistigkeit lassen sich vielleicht für den Moment überschminken, aber langfristig nicht verbergen. Dann ist es wie im Restaurant: die Rechnung kommt und muss beglichen werden.

Foto: Pixabay

5 Kommentare

  1. Wie wahr, Sie sprechen mir aus der Seele. Die kulturelle Verwahrlosung ist nicht nur im gastronomischen Bereich zu sehen, sondern überall. Allein, wie die Menschen gekleidet sind oder wie heute gebaut wird, alles sieht einfach nur zum Erbrechen aus. Kein Stolz mehr auf seine Leistungen oder auf sein Dasein als Mensch.

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  2. Kleine Anmerkung: Wäre es möglich, die Dinge hier so einzurichten, dass der Leser auf den ersten Blick erkennt, ob es zu einem Artikel Kommentare gibt?
    In naderen Blogs ist das selbstverständlich .. so aber muss man x-mal in den gleichen, schon gelesenene Artikel klicken, um zu sehen, ob es interessante Kommentare dazugibt? T H A N K S & M E R C I !

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    • Wir bemühen uns darum, danke für den Hinweis.

      Georg Etscheit

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  3. Danke für den Hinweis. Diese Funktion ist nun verfügbar.

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  4. Die Verwahrlosung der Gesellschaft ist bestimmt nicht nur ein deutsches Problem. Sie hat große Teile der “westlichen Welt” erfasst. Sie ist aber in Deutschland ganz besonders gut sichtbar. Wer einmal abends nach 18 Uhr auf der Piazza irgend eines italienischen Landstädtchens unterwegs ist, wird seinen Augen nicht trauen. Die Menschen ziehen sich nach der Tagesarbeit sauber an, machen auf dem Corso bella figura. Wer an einem Sonntag in Spanien oder Portugall unterwegs ist, kriegt den Mund vor Staunen nicht mehr zu. Kinder, angezogen wie Prinzessinnen und Prinzen, sauber und elegant gekleidete Erwachsene auf dem Weg ins Restaurant mit der ganze Familie. Drei Gänge sollen es dann schon sein.
    Von all dem ist Deutschland inzwischen Lichtjahre entfernt. Eine von Burger, Döner und Fertigpizza weitgehend verfettete, in Billigkleidung verpackte Underdog – Gesellschaft, deren luxuriösestes Kleidungsstück die 8 Euro – Jogginghose a la Aldi oder Kik ist. Dazu ein paar ausgelatschte Turnschuhe aus der gleichen Kollektion…(gern von Joop) – und im Sommer bitte immer in kurzen Hosen in die Stadt…Man kann gern jammern über wenig Geld und Armut allenthalben. Aber gerade bei Kleidung stimmt das gar nicht. Es gibt sehr ordentliche, gepflegte Kleidung für den kleinen Geldbeutel. Und ehrlich: Wer ein Logo auf der Kleidung braucht, der sucht doch nichts anderes als eine Persönlichkeitsprothese für seine nicht existente Persönlichkeit. Nein: Deutschland heute ist ein verkommenes Land ohne Geschichts – und Selbstbewustsein, ohne Wertvorstellungen für Schönes und Gutes. Es hat sich aus dem Kreis der Kulturnationen längst völlig verabschiedet und wickelt sich lieber mit allen 200 Geschlechtern in Regenbogenfähnlein. Das alles lief in gut 20 Jahren – da wurde wirklich mal ein atemberaubendes Tempo vorgelegt. Gibt es Hoffnung? Man stelle sich mal vor ein deutsches Gymnasium nach Schulschluß … und lasse alle Hoffnung fahren!

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