Die Älteren unter unseren Lesern werden sich noch an Zeiten erinnern, als die Schule ihre Eleven, und zwar unabhängig von der Schulform, noch einigermaßen zuverlässig zu einer korrekten Rechtschreibung erzog und ihnen damit das unverzichtbare Rüstzeug für ein möglichst Fetttopf armes kommunikatives Leben mitgab. Mittlerweile sorgt nach der letzten, großenteils grotesk verunglückten Rechtschreibreform auch das sogenannte geschlechtergerechte Gendern für Verwirrung. Insgesamt scheint eine Mentalität Einzug gehalten zu haben, die Fehler nichtmehr „so eng“ sieht. Take it easy, lautet jetzt das Motto. Und zwar in jeder Lebenssphäre.
Ein ideales Studienobjekt für die neue, entspannte Haltung gegenüber Orthografie und Syntax sind Speisen- und Weinkarten. Kaum eine Visitenkarte der Gastronomie die fehlerfrei das Angebot von Küche und Keller ausweist. Dabei trifft es nicht nur Begriffe aus der internationalen Küche wie „Risotto“, „Kotelett“ oder die Falschschreibeklassiker „Crème brûlée“ und „Bouillabaisse“. Wer richtig Hunger hat, der bestellt auch schon mal „Westfählischen Schincken“ oder „Rumsteek“ und hofft, dass der Koch bei der Zubereitung der Speisen mehr Sorgfalt walten lässt.
Wer sich zunehmend um die Weinkultur in Deutschland Sorgen macht, der wird immer öfter beim Blick in die Weinkarten bestätigt. Doch wenigstens ist eine gewisse Kontinuität auszumachen, das Analphabetentum zieht sich vom Sterne-Tempel bis in die Niederungen deutscher Autobahngaststätten. Da werden Rieslinge aus der „Tritenheimer Apoteke“ (korrekt „Trittenheimer Apotheke“) und dem „Kasseler Nieschen“ (korrekt „Kaseler Nies’chen“) genauso empfohlen wie Pinots aus dem „Ihringer Winkelberg“ (korrekt Winklerberg) im badischen Kaiserstuhl. Zum Dessert wird ein Glas „Schwarzhofberger“ (korrekt: „Scharzhofberger“) gereicht.
Mutige Weintrinker ordern zur „Krehm brülee“ gerne auch eine Spätlese aus dem „Kracher Himmelreich“ (korrekt „Graacher Himmelreich“) – und lassen sich überraschen, ob es sich wirklich um einen Mosel-Riesling handelt. Überraschend war auch die Erklärung der sympathischen Patronin eines bekannten Düsseldorfer Restaurants, warum auf der gut sortierten Getränkekarte die „Großen Gewächse“ allesamt als „Erste Gewächse“ ausgewiesen sind. Weil der Gast den Unterschied ohnehin nicht verstehe, hieß es, weil es einheitlich aussehe und außerdem auf der Flasche die Zahl „1“ zu lesen sei. Eine interessante Erläuterung, die nicht einer gewissen Süffisanz entbehrt und den Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) und seine Werbestrategen, die diese Klassifizierungen erfunden haben, zum Nachdenken bringen sollte.
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