Am Nachbartisch sitzt ein Pärchen, geschätzte Mitte 30, das man schon auf den ersten Blick nicht näher kennen lernen möchte. Ohne Rücksicht auf die ohnehin schwierige Akustik des Raumes schwadroniert der Herr lautstark über den Untergang der europäischen Weinkultur, und dass man eigentlich nur noch Bordeaux-Weine trinken könne, die vor der Jahrhundertwende auf die Flaschen kamen. Die auffällige Motivkrawatte mit Fässern und Korkenziehern outet ihn als bekennenden Weinfreund, im schlimmsten Fall als Mitglied einer Weinbruderschaft. Seine Begleitung schlürft derweil gelangweilt am zweiten Glas Prosecco und quält den Service mit Fragen zum Salatteller, der eigentlich nicht auf der Karte steht, aber für die Lady mit dem ausdruckslosen Mallorca-Blick zum Standard eines guten Restaurants gehört. Schließlich will man den sonnenverwöhnten Körper nicht mit unnötigen Ballaststoffen ruinieren. Und außerdem ist Grüner Salat ein Zeichen der umweltbewussten Selbstachtung und der Emanzipation vom bourgeoisen Fleischkonsum.

Der junge Service bleibt erstaunlich ruhig und hört sich die dämlichen Belehrungen über Gott und die kulinarische Welt mit einem bewundernswerten Langmut an. Dann geht es ans Eingemachte: zweimal das Menü aber ohne den Zwischengang, der offenkundig aus dem Fleisch gequälter Tiere produziert sein muss. In der Vorspeise statt Fleisch lieber eine kleine Portion Fisch, bitte ohne Sauce, Dekoration und Beilagen, ohnehin wünscht man alles Laktosefrei, ohne Öl und Gluten und bloß keine bösen Kohlenhydrate. Der Hauptgang mit Rehmedaillons auf Selleriepüree kann so bleiben, wenn man das hinterrücks ermordete Wild durch ein saftiges Steak ersetzt. Aber das Fleisch bitte möglichst mager und natürlich ohne Fettrand.

Mit dem Dessertangebot ist man einverstanden, wenn die Nachspeise ohne Monosaccharide, Oligosaccharide und Polysaccharide auskommt, was für einen ambitionierten Patissier ja kein Problem darstellen dürfte. Jetzt schlägt die Stunde des Weinkenners: Bordeaux ist viel zu teuer, deutsche Rotweine nicht trinkbar und Weißweine ohnehin eine schlechte Laune der Natur. Außerdem vermisst man die Weine des unlängst entdecken ultimativen Geheimtipps im Hinterland der La Mancha, was beweist, dass der Sommelier nicht auf der Höhe der Zeit ist. Madame bleibt also beim Prosecco, auch wenn es nicht ihre Hausmarke ist, und Monsieur ordert erst einmal ein frisch gezapftes Bier. So kann Gastronomie Spaß machen und der Gast geht mit dem guten Gefühl nach Hause, mal wieder richtig gut gegessen und getrunken zu haben.

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