Einst gab es den Bürgerschreck als Horrorszenario der zivilen Gesellschaft, heute würden Serge Gainsbourg, der provokante französische Chansonnier, Rudi Dutschke, Thomas Bernhard und sogar Joschka Fischer nicht mal mehr auf einem Kindergeburtstag für Angst und Schrecken sorgen. Das besorgen längst andere, die sich den Mantel des Bürgerlichen umgehängt haben, um ihre kruden Ideen in höchsten Ämtern auszuleben. Ohne Bildungshintergrund oder Erfahrungen in der Arbeitswelt, wie mittlerweile ganze Politikergenerationen beweisen. Und das im Mutterland der Meisterbriefe und der dreijährigen Ausbildung zur Bäckereifachverkäuferin.

Doch was unternimmt der deutschen Durchschnittsbürger? Er macht das, was er immer gemacht hat. Er hofft inständig, dass es nicht so schlimm wird. „Es het no immer jot gegange“, ist denn auch mehr als eine Kölsche Volksweisheit. Es ist eine bequeme Haltung, die Deutschland in einem Jahrhundert eine braune und eine rote Diktatur beschert hat. Fehlt noch die grüne, doch keine Sorge. Deren Protagonisten sind schon längst dabei, die Spielregeln umzuschreiben und zwar gründlich, wie es in Deutschland üblich ist. Das fängt mit der Umdeutung der Sprache an, die dann überall dort für eine neue Sichtweise und damit einhergehende Bewertung des Überkommenen sorgen kann. Statt Meinungsfreiheit wird nach und nach ein Neusprech einer sich in alle gesellschaftlichen Bereiche einschleichenden Diktatur installiert. Nichts Neues, aber immer wieder effektiv.

Der neue Mensch, den schon die Nationalsozialisten, die Sowjets und Maos Schergen mit Umerziehungsmaßnahmen im Blick hatten, soll das Zurückliegende, und damit seine Geschichte unter den Aspekten Rassismus, Diskriminierung und kultureller Aneignung ablehnen und sich davon auch hörbar distanzieren. Was gesagt werden darf und was nicht, was in welcher Form ausgedrückt und besprochen wird, bestimmen diejenigen, die für die gute Sache stehen, die sie selbst festlegen, unabhängig von sozialpolitischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Der Glaube allein ist Rechtfertigung genug, ein religiös geprägter Freibrief für Denunziantentum und Meinungsterror. Es geht ja um die bessere Welt, wer das nicht einsieht oder erkennt, muss zu seinem Glück gezwungen werden. Notfalls mit präsenter Gewalt, die als passiver Widerstand oder sogar ziviler Ungehorsam uminterpretiert wird. Und mit Maßnahmen, die als gesellschaftspolitisches Muss und damit als Wohltat getarnt werden, um dem gesunden Menschenverstand den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Gregor Bachmann, Juraprofessor in Berlin, bringt mal eben 100 Euro für einen Liter Sprit ins Spiel, um nachdrücklich an das Klimabewusstsein der aus seiner Sicht privilegierten Autofahrer zu appellieren. Es ginge ja auch ohne Auto, womit der gendernde Professor sicherlich Recht hat. Wer auf dem Land, um nicht zu sagen in der Pampa wohnt, wo der öffentliche Nahverkehr teilweise noch in den Kinderschuhen steckt, kann ja morgens sein Ränzlein schnüren und sich auf die Walz zum Arbeitsplatz machen. Frische Luft tut ohnehin gut, dazu öffnet die tägliche Bewegung ganz neue Gesundheits- und Fitnessperspektive, die den Krankenkassen in die Karten spielen würden. Freudestrahlend kommt dann der Industriearbeiter genauso wie der Behördenleiter nach Stunden des Wanderns durch Wald und Flur an seinem privilegierten Arbeitsplatz an, um vor Einbruch der Dunkelheit noch schnell ein paar Dinge zu erledigen, bevor es wieder mit großen Schritten nach Hause geht. Gut, dass Menschen mit hohen akademischen Weihen und dem sicheren, aus dem Staatssäckel finanzierten Salär im Nacken so praxisnah nach vorne denken und die Realität neu erfinden.

Nicht weniger bemerkenswert ist die Idee des REWE-Konzerns, der in seinem Discounter Penny den Verbrauchern mittels vorübergehender drastischer Preiserhöhungen den „wahren Preis“ des Produktes verdeutlichen möchte. Heißt das im Umkehrschluss, dass REWE-Kunden bis dahin Mondpreise bezahlt haben? Hat REWE in der Vergangenheit bei den „unwahren Preisen“ draufgelegt, damit auch die Armen und Ärmeren in den Genuss von Lachs und Champagner kommen, und dennoch schöne Gewinne gemacht? Warum entdeckt man erst jetzt, nachdem der kleine und mittelständige Einzelhandel und die entsprechenden Produzenten vom Markt gefegt sind, dass Lebensmittel auch soziale und ökologische Kosten implizieren?

Mit gefakten Interviews von vermeintlichen Kunden, die sich als Mitarbeiter des WDR herausstellen, und ein paar pseudowissenschaftlichen Taschenspielertricks wird gute Laune verbreitet ob der für die Zukunft der Welt so wichtigen REWE-Aktion. Bitte dazu keine unangenehmen Fragen, sonst wird die Rechtskeule rausgeholt und kräftig zugeschlagen. Gewaltfrei natürlich. Man mag schon gar nicht mehr Heinrich Heine zitieren, der bei dem Gedanken an Deutschland um den Schlaf gebracht war. Dennoch sollten wir wachsam sein, es braut sich etwas zusammen!

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