Die Deutschen lieben das Perfekte, jenen unzweifelhaften Zustand, der scheinbar keine andere Lösung zulässt, weil er eben der optimale zu sein scheint. Wer ihnen das ins Ohr flüstert ist erst einmal egal, das können auch politisch motivierte Ideologen sein. Hauptsache dem Umstand oder der Situation wohnt ein irgendwie gearteter Perfektionismus inne. Wir lieben das! Unseren unantastbaren deutschen Perfektionismus, auf den die eine oder andere Nation manchmal neidisch schaut, oder im schlimmsten Fall zu kopieren versucht.
Perfektion als Mentalität und Charakterzug, und das in einem Land, das sich langsam aber sicher aus der Perfektion verabschiedet und zunehmend dem Provisorium frönt. Doch falls es einen wirtschaftlichen Untergang der einstigen Industrienation geben sollte, wie einige Experten voraussagen, dann wird es ein perfekter sein. Begleitet von Wagner-Klängen, dramatisch inszeniert, ein bisschen Gänsehaut gemischt mit Melancholie und Romantik, steht am Ende der perfekte Abgang. Jeder, der schon einmal in einem seriösen Geschichtsbuch geblättert hat, weiß, dass die Deutschen das können. Nahezu perfekt.
Geht es im Land um kulinarische Genüsse, kümmern sich ganze Heerscharren um perfekte aromatische Inszenierungen und Paarungen, die Erfinder der Discounter möchten auch beim Essen und Trinklern nichts dem Zufall überlassen. Und schon gar nicht der gelebten Individualität. Im Umfeld der Ernährung und Lebensmittel-Produktion darf jeder seine Meinung haben. Wenn es die richtige ist! Kenner oder Banause, das ist hier die Frage.
Doch der perfekte Genuss, den uns vor allem Sommeliers, Wein- und Food-Experten und solche, die sich dafür halten im Zusammenspiel zwischen Essen und Trinken unentwegt einzureden versuchen, ist blanker Unsinn. Auch wenn es verlockend klingt: einen perfekten Genuss kann es nicht geben! Geschmack und seine Sensorik sind so individuell und unterschiedlich wie die Menschen selbst. Ein Resultat aus Herkunft, Erziehung, Erfahrung, Bildung und Veranlagung. Wer dazu etwas Schlaues lesen möchte, sollte sich das Buch „Die feinen Unterschiede“ von Pierre Bourdieu besorgen. Darin analysiert Bourdieu, wie soziale Klassen durch kulturelle Praktiken und Konsum-Gewohnheiten differenziert werden. Keine leichte Kost, aber der perfekte Einstig ins Nachdenken über die Suche nach dem perfekten Genuss.
Foto: Pixabay
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