Frankreich: Warum es keine Weinkrise gibt

von | Sep 7, 2023 | Aufmacher | 0 Kommentare

Wenn man vor ein paar Jahren Freunden ein Weinpräsent offerieren und wissen wollte, ob lieber „weiß“ oder „rot“, lautete die Antwort in den allermeisten Fällen „rot“. Mittlerweile ist die Rotweinwelle abgeflaut. Heute ist Weißwein gefragt. Rote Weine gelten als „schwer“ und potentiell Kopfweh erzeugend, jetzt liegen „Frische“ und Leichtigkeit im Trend. Wenn es noch „rot“ sein darf, dann höchstens ein Rosé oder ein Blanc de noir – das ist ein heller Wein, der aus Rotweintrauben bereitet wird, die man sofort abpresst ohne sie längere Zeit „auf der Maische“ liegen zu lassen.

Üblicherweise landen solche Blanc de noir-Weine in Champagner-Cuvées. Doch aktuell sind sie zunehmend gefragte Schoppenweine. Für Rotweinwinzer ist das ideal. Sie können flexibel auf den Weißweintrend reagieren, ohne womöglich ihre Stöcke ausreißen und durch weiße Reben ersetzen zu müssen. Auch in Frankreich ist Weißwein und Rosé gefragt wie selten. „La fraicheur“ lautet das Zauberwort auch in der immer noch bedeutendsten Weinnation der Welt.

Nun erreichen uns alarmierende Meldungen, wonach in der überwiegend von roten Sorten wie Cabernet Sauvignon, Cabernet franc und Merlot geprägten Anbauregion Bordeaux auf rund 9500 Hektar Fläche mit staatlicher Subventionierung die Reben herausgerissen werden sollen. Außerdem sollen große Mengen Wein aus dem Markt genommen und zu Alkohol destilliert werden. In kleinerem Umfang betroffen sind von den Maßnahmen auch das Languedoc und das Rhonetal.

Der Grund: Überproduktion. Seit längerem, so liest man, sei in Frankreich der Weinkonsum – überwiegend Rotwein – rückläufig. Innerhalb von sechzig Jahren um rund 70 Prozent von gut 120 Litern pro Jahr und Einwohner im Jahre 1960 auf gut 47 Liter im Jahre 2022. Bei den 18- bis 35-Jährigen habe Wein von 2014 bis 2021 neun Prozentpunkte Marktanteil verloren. 2021 entfielen 39 Prozent der Einkäufe alkoholischer Getränke der unter 35-Jährigen auf Bier, Wein machte 27 Prozent aus.

Mutiert Frankreich jetzt zur Biernation, während die Deutschen zunehmend auf Wein umsteigen – hier ist nämlich der Bierkonsum rückläufig? Doch so weit ist es noch lange nicht. Laut dem französischen Brauereiverband Brasseurs de France sind die Franzosen trotz steigenden Bierdurstes mit einem Pro-Kopf-Konsum von 33 Litern im Jahr Schlusslicht in der EU. Zum Vergleich: die Deutschen genehmigen sich mit rund 90 Litern pro Kopf und Jahr fast dreimal so viel Gerstensaft wie die westlichen Nachbarn. Dafür liegt ihr Weinkonsum bei gerade mal der Hälfte des französischen.

Der Branchenverband Vin & Societé sieht Veränderungen in der Gesellschaft als Ursache einer postwendend ausgerufenen „Weinkrise“. Die traditionellen Mahlzeiten, bei denen Wein auf den Tisch kommt, verlören an Bedeutung. Die Kultur des Weintrinkens werde in Familien nicht mehr automatisch weitergegeben, auch gebe es mehr Single-Haushalte, Wein aber werde eher in Gesellschaft getrunken.

Vor den Folgen des Abwärtstrends warnt der Präsident des Nationalen Komitees der Weinberufe, Bernard Farges. “Viele Weinfachleute spüren die Auswirkungen der Schrumpfung des Marktes, die durch den Konsumrückgang angetrieben wird, und wozu noch der harte internationale Wettbewerb und die jüngsten klimatischen Unwägbarkeiten kommen.” Erzeuger gäben den Beruf auf und für etliche Weinbaubetriebe werde sich kein Nachfolger finden, fürchtet der Funktionär.

Das klingt dann schon wieder sehr nach den üblichen Klagegesängen, die zuverlässig angestimmt werden, wenn nicht zuletzt infolge der aktuellen Inflation Märkte rückläufig sind und der Kampf um staatliche Hilfen entbrennt. Moden kommen und gehen, auch Weinmoden. Und was spricht eigentlich dagegen, wenn heute auch in heißen Rotweinregionen wie dem Süden Frankreichs zunehmend ebenso gehaltvolle wie erstaunlich spritzige Weiße aus wieder entdeckten Lokalsorten gekeltert werden? Das ist eine Bereicherung, keine Katastrophe.

Sicher mag es auch strukturelle Veränderungen geben, doch dass sich die Franzosen generell vom Wein abwenden, ihrem Kulturgut schlechthin, ist wenig wahrscheinlich. Wäre es wirklich so schlimm, wenn Industrieweine wie der alljährlich mit viel Marketinggetöse in den Markt gedrückte „Beaujolais noveau“ („Le beaujolais nouveau est arrivé“) oder oft allenfalls mittelprächtige Crus Bourgeois aus dem Bordelais an Bedeutung verlören? Der Qualitätsweinbau ist nirgendwo bedroht, auch nicht durch die moderate Klimaerwärmung der vergangenen Jahrzehnte, von dem die meisten Weinregionen bislang ungemein profitiert haben.

Wenn die Franzosen zunehmend die Vorzüge guter, im eigenen Land gebrauter  Biere entdecken, von denen es in Frankreich bislang noch deutlich weniger gibt als gute Weine in Deutschland, wäre das nur zu begrüßen. In französischen Supermärkten stehen meist noch importierte belgische oder niederländische Biere in den Regalen, oft aufdringlich süß und mit Fruchtaromen parfümiert. Eigentlich eine Schande für die Grande Nation culinaire.

Postskriptum: Dass Wein laut dem Branchenverband Vin & Societé „eher in Gesellschaft getrunken werde“, kann der Autor aus eigener Erfahrung nicht bestätigen. Für die Mehrzahl der Franzosen mag dies (noch) zutreffen. Doch auch in diesem Fall muss ein wenig Kulturwandel etwa in Form eines einsamen Schöppchens vor dem Fernseher nicht den Untergang der Nation bedeuten.

Foto: Pixabay

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