Mon Dieu Depardieu!

von | Dez. 26, 2023 | Aufmacher | 0 Kommentare

Die Jagd ist eröffnet, Gérard Depardieu steht unter Beschuss. Wieder einmal. Für den bulligen Schauspieler mit der markanten Nase, der in Frankreich trotz, oder wegen seiner Eskapaden einen gewissen Kultstatus genießt, ist das nichts neues. Seiner Popularität tat das bisher keinen Abbruch, das 75-jährige enfant terrible des französischen Films ist nach wie vor ein gefragter Schauspieler. „Sie küssten und sie schlugen ihn“, der Titel des Filmdramas des französischen Regisseurs Francois Truffaut könnte als Motto über Depardieus Leben stehen. Auf der einen Seite grandiose schauspielerische Leistungen in Film-Klassikern wie „Cyrano de Bergerac“, „1492-Die Eroberung des Paradieses“, „Die letzte Metro“, „Danton“, „Der Graf von Monte Christo“, und „Les Misérables“ nach dem Roman von Victor Hugo.

Nicht zu vergessen die Komödien mit Kollege Pierre Richard, und die ihm auf den Leib geschneiderte Rolle des übergewichtigen Obelix. Auf der anderen Seite ist die Karriere des Charakterdarstellers, die in den frühen 1970er Jahren beginnt, überschattet von Trinkexzessen, Depardieu besitzt einige Weingüter und schreibt in seinem Buch „Vivant“, dass er täglich rund 14 Flaschen Wein getrunken habe, Diebstählen, Hehlerei und Schmuggel, unappetitlichem Machogehabe und Vergewaltigungsanschuldigungen.

Die neuste kommt von Ruth Baza, einer spanischen Journalistin und Autorin. Sie wirft Gérard Depardieu vor, er habe sie während eines Interviews auf dem Gelände der früheren Produktionsgesellschaft Roissy Films vergewaltigt, beziehungsweise mit den Fingern penetriert. Das war im Oktober 1995, also vor rund 30 Jahren. Doch Baza ist nicht die einzige. Gegen den bekennenden Gourmet, Gourmand und Kochbuchautor läuft seit rund drei Jahren ein Ermittlungsverfahren wegen Vergewaltigung der Schauspielerin Charlotte Arnould aus dem Jahre 2018. Anfang Dezember wurde er wegen sexueller Übergriffe bei Dreharbeiten 2007 von der Schauspielerin Hélène Darras angezeigt.

Klingt nicht gut für Depardieu, der alles bestreitet, und der, so lange seine Schuld nicht durch ein ordentliches Gericht festgestellt ist, als unschuldig gilt. So sind die juristischen Spielregeln in einem Rechtsstaat, doch werden sie allzu gerne außer Kraft gesetzt, wenn es um die vermeintlich moralisch gerechtfertigte Demontage einer Ikone geht. Was zählen dann schon handfeste Beweise, es hat doch ohnehin jeder geahnt, gehört, vermutet, erzählt bekommen. Dabei spielt die Presse eine wichtige, meist unrühmliche Rolle und macht Schlagzeilen mit der mediengerechten Anklage inklusive sicherer Verurteilung wie aus der Zeit der Hexenprozesse oder der Französische Revolution. Die Anklage ist Beweis genug, aufs Schafott mit ihm!

Zwar ist das Unschuldslamm keineswegs Depardieus Paraderolle, doch es bleiben Fragen. Vergewaltigt oder mit den Fingern penetriert? Für das vermeintliche Opfer ist beides unerträglich, das steht außer Frage. Für die Justiz sind das allerdings strafrechtlich zwei unterschiedlich zu bewertende Taten mit unterschiedlichem Strafmaß. Dazu wird sich jeder Richter fragen, warum die vermeintlichen Opfer erst Jahre nach der angeblichen Tat ihre schwerwiegenden Anschuldigungen öffentlich machen? Im Fall von Ruth Baza sind es rund 30 Jahre und selbst juristische Leien sollten wissen, dass für die angebliche Tat längst die Verjährung greift und sie damit nicht mehr justiziabel ist. Laut Polizei und Staatsanwaltschaft ist bis dato keine Strafanzeige von Ruth Baza gegen Gérard Depardieu eingegangen.

Was bleibt ist die öffentliche Anklage, die, sollte sie nicht auf dem Rechtsweg bewiesen werden können, im Sinne der Unschuldsvermutung als Rufmord qualifiziert werden kann. Irgendetwas bleibt schon hängen, heißt die Devise, und sie greift nicht zu kurz. Dass gilt für beide Seiten. Die schwerwiegenden Anschuldigungen bestätigen Depardieus Kritiker, die in ihm das übergewichtige, von Alkohol gezeichnete Monster mit schlechten Manieren sehen, das Frauen nur als sexuelles Objekt betrachtet und sich nimmt, was es will. Eine Schande für Frankreich, nannte ihn die französische Kulturministerin Rima Abdul Malak und leitete Depardieus Ausschluss aus der Ehrenlegion ein. Gérard Depardieu nimmt das gelassen hin denn er weiß, dass die meisten Franzosen ihn lieben und verehren, zumindest den Depardieu, der als Schauspieler weltweit zu den Besten der Besten gehört. Mit oder ohne Orden der Ehrenlegion. Da geht es um den nationalen Stolz auch auf Prominente, die nicht dem Mainstream folgen, politisch unbequem sind und schon mal über die Stränge schlagen.

Auf der anderen Seite redet man im Zuge der mediengerecht inszenierten Anschuldigungen über Autorinnen und Schauspielerinnen, die im Haifischbecken der Filmbranche jede öffentliche Aufmerksamkeit gebrauchen können, dabei mit der vermeintlichen Opferrolle fast unantastbar sind. Wäre da nicht die Unschuldsvermutung.

Die ist auch für den französischen Staatspräsident Emmanuel Macron von zentraler Bedeutung. Macron bekennt sich von höchster Stelle aus öffentlich als „großer Bewunderer des großartigen Schauspielers“. Gérard Depardieu habe mit seinen Filmrollen Frankreich bekannt gemacht, seine großen Schriftsteller und seine großen Persönlichkeiten. Das mache Frankreich stolz auf Depardieu, das Land dürfe nicht in ein „Zeitalter der Verdächtigungen und Menschenjagden“ abrutschen. „Es gibt vielleicht Opfer, aber es gibt auch die Unschuldsvermutung“, wird Emmanuel Macron zitiert. Was für ein klares und mutiges Statement eines Staatsmannes inmitten woker Moral-Apostel und MeToo-Aktivisten! Châpeau, Monsieur le président!

Den deutschen Drei-Sterne-Koch Christian Jürgens, der sich vor einigen Monaten ebenfalls mit Vorwürfen sexueller Übergriffe und Gewalt gegenüber Mitarbeitern konfrontiert sah, haben alle, auch seine Kollegen im Regen stehen lassen. Von den Vorwürfen, die eine regelrechte Hatz auf den Spitzen-Koch ausgelöst, und ihn seinen Job gekostet haben, ist am Ende nichts übriggeblieben. Die eidesstattlichen Erklärungen entpuppten sich als Luftnummer, die Staatsanwaltschaft sah keine relevanten Gründe, um gegen Christian Jürgens Klage zu erheben. Doch die Unschuldsvermutung galt für Jürgens nicht.

Foto: Pixabay

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