Szene aus einem traditionsreichen Gourmetlokal im Badischen. Die meisten Tische sind besetzt, uns gegenüber hat sich eine Gruppe von Männern mittleren Alters niedergelassen. Einer von ihnen tut sich als Weinkenner hervor, ordert die Flaschen, die der Sommelier dienstbeflissen herbeischafft. Man verkostet, fachsimpelt, wendet sich dann dem Amuse bouche zu. Der Patron, ein bekannter Mann nicht nur in der Gastroszene, geht von Tisch zu Tisch, macht die Honneurs. Etwas länger verweilt er an dem Tisch gegenüber, offenbar kennt man sich. Jetzt wendet sich das Gespräch dem Fußball zu.
Irgendwann zwischen Vorspeise und Hauptgang meint ein Teil der Gruppe, sich einen Zug aus der E-Zigarette oder einem echten Glimmstängel gönnen zu müssen. Man erhebt sich, wirft sich, es ist Spätherbst, etwas Warmes über, begibt sich vor die Tür. Zwischenzeitlich wird der nächste Gang aufgetragen, das Serviceteam ist verunsichert, ob man die Teller vor den leeren Stühlen platzieren soll, weil niemand weiß, wann genau mit der Rückkehr der ihrer Sucht frönenden Menschen zu rechnen ist.
Der Patron beobachtet die Szene eine Zeitlang und beginnt dann, für alle hörbar, seine Gäste abzukanzeln. „Das ist doch keine Tischkultur“, brüllt er. Sein Team maloche seit neun Uhr morgens, um allen einen großartigen Abend zu bieten und dann solche ungehöriges Verhalten! Die Philippika hat es in sich; die Gäste wirken betreten, kleinlaut, niemand wagt zu widersprechen. Auf der Reservierungsbestätigung des Restaurants findet sich folgender Satz: „Für einen ungestörten Weingenuss aller Gäste bitten wir, auf das Auftragen von Parfüm zu verzichten.“
Darf ein Gastwirt seine Gäste belehren? Darf er ihnen Vorschriften machen, wie sie zu erscheinen, wie sie sich zu verhalten haben? Rechtlich gesehen lautet die Antwort: Ja, denn er besitzt das uneingeschränkte Hausrecht. Doch in der Praxis sieht das ganz anders aus, dürfen die Gäste meist machen, was sie wollen. Die Konkurrenz ist groß, niemand will seine zahlende Klientel bevormunden und mit Vorschriften belästigen. Selbst wenn man sich als Gast hilfesuchend an den Wirt wendet oder den Oberkellner mit der Bitte, wegen einer Belästigung einzuschreiten, erntet man oft nur ein Achselzucken.
Der Gast ist König, heißt es. Ja, auch das stimmt. Aber der Gast ist eben auch „zu Gast“ in einem Gasthof, in dem es einen „Gastgeber“ gibt. Ein Gasthaus ist kein erweitertes Wohnzimmer, wo man all das machen kann, was man sich im privaten Kokon einfallen lassen könnte. Das beginnt bei der Kleidung, der persönlichen Sauberkeit, Ton und Lautstärke der Konversation und endet damit, wie man mit Kindern und Haustieren umgeht.
Einen Dresscode haben nur noch sehr wenige Restaurants. Meist ist „Casual Dining“ angesagt und selbst wer in Shorts erscheint mit Badelatschen an den Füßen wird in der Regel anstandslos bedient. Dass Eltern ganze Spielesammlungen auf den Tisch schütten, um die Kinder bei Laune zu halten, ist genauso Usus geworden, wie jene Gäste, die sofort ihr Laptop aufklappen und die Gasträume zum Büro umfunktionieren. Ganz abgesehen von Müttern und Vätern, die ihre Kinder auf den Esstischen wickeln, im Angesicht speisender Gäste ihre Babys stillen oder ohne Rücksicht auf Dritte persönliche Konflikte austragen. Nicht zu vergessen, die lästige Manie, dauernd alles bei Tisch zu fotografieren und umgehend in den sozialen Medien zu verbreiten.
Leider geraten auch die Regeln, wie man sich beim Essen selbst benimmt, zunehmend in Vergessenheit. Immer mehr Menschen hantieren mit Messer und Gabel auf eine Weise, als würden sie diese Instrumente einer kultivierten Nahrungsaufnahme zum ersten Mal in Händen halten. Kein Wunder, wenn man nur noch unterwegs aus der Pappschachtel ernährt – aber eben oft kein schöner Anblick.
Darf ein Patron also einschreiten, wenn ihn etwas in massiver Weise stört oder er andere Gäste gestört sieht? Klares Ja! Er muss sogar. Er sollte er es auf eine ebenso freundliche wie nachdrückliche Weise machen, die Situation und seine Entscheidungsgründe offenlegen, wobei es Grenzen gibt. Einen Gast zu einem anderen Umgang mit dem Besteck aufzufordern, wäre unangebracht, weil dies einen empfindlichen Eingriff in die Privatsphäre darstellt.
Am elegantesten ist es, gleich bei der Reservierung auf die eine oder andere Spielregel hinzuweisen. Warum nicht, wie in einem Restaurant im hessischen Rheingau, den Gästen höflich nahezubringen, dass die Küche sich weigern wird, ein Steak durchzubraten, selbst wenn der Gast darauf besteht. „Nur Ahnungslose können solch ein Stück Fleisch durchgebraten bestellen. (…) Gerne akzeptiere ich es, wenn Gäste kein rohes oder halbgares Fleisch essen möchten, dafür gibt es aber andere Stücke zum Kochen oder Schmoren…“
Einschränkend ist zu sagen, dass nicht alle Gastwirte über ein Renommée und ein Standing verfügen wie der eingangs erwähnte Patron im Badischen. Wer sich mit seinen Gästen anlegt, muss damit rechnen, sie das letzte Mal gesehen zu haben. Andererseits können es andere Gäste honorieren, wenn gelegentlich im Interesse aller oder der Esskultur als solcher ein deutliches Wort nicht gescheut wird.
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Unvergessen die Scene in einem „Brenner“-Film. Ich kürze ab in meinen Worten und meiner Erinnerung.
Der Brenner als „Privatdetektiv“ kommt in die Provinz in eine Beiz und stellt an der Theke ein paar unangenehme Fragen an die Person am Zapfhahn. Keine Antwort.
„Na gut, dann hätte ich gerne ein Bier.“
„Kein Bier.“
„Wie? Kein Bier? Ich dachte das ist ein Gasthaus.“
„Na, des is a Wirtshaus.“
Dürfen?
Sollten.
Aber da das Hausrecht seit dem Rauchverbot de facto abgeschafft ist und auch das Angebot auf der Speissekarte eher von der Wokeria als vom Chef gestaltet ist, hat sich einiges gewandelt.
Wenn man früher die Gepflogenheiten eines Wirts mochte oder nicht hatte man die Wahl: „Mein Ding“ oder „da geh´ich nicht mehr hin“.
Heutzutage sieht man sich überfallartig dem Terror der Gäste ausgesetzt, ohne das der „Hausherr“ auch nur den Hauch einer Chance hat irgendwas zu machen. Kann man lustig finden, muss man aber nicht….
Im früheren Leben in einer anderen Stadt hatten wir mal eine „Cantina“ in der wir die Hälfte unsere wöchentlichen Abenden verbracht haben. Da kam eines Tages eine Meute von Jungmänner mit ihrem schicken Anhang rein. Laut und geräuschvoll nahmen sie an einem freien Tisch Platz und es wurde ihnen die Tageskarte an den Tisch gestellt. Der Wortführer fragte den Patrone „Na, Meister, was können sie uns empfehlen?“ Der Patrone lakonisch: „Eine andere Ristorante.“
Heute undenkbar.
Ich beneide die Gastwirte nicht um ihr kulturell gebildetes Publikum. Aber wie heißt es so treffend, wer nichts wird, wird Wirt, wer garnichts wird, wird Gast beim Wirt.