„Ein Menu. Getragen vom Lauf der Jahreszeit. Achtsam. Reflektiert. Natürliche Produkte aus der eigenen Gärtnerei. Von Freunden aus der Region, Wald und Wiese, heimischen Gewässern und dem Meer.“ Hach, das klingt so schrecklich nachhaltig, dass einem gleich die Matcha-Latte aus dem wiederverwendbaren ToGo-Becher schwappt. Gedichtet hat das anrührende Staccato das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Gourmetrestaurant „Alte Liebe“ in Augsburg. „Einiges kommt aus der Bio zertifizierten Gärtnerei“, schreiben die Tester der roten Bibel. „Einiges“ wohlgemerkt. Aber „eigene Bio-Gärtnerei“, das klingt schon mal gut und hält die Gäste bei Laune, die für ein Menü 200 Euro zücken müssen – ohne Getränke versteht sich.
Natürlich ist auch der Guide Michelin der Ökomode erlegen und verleiht seit einigen Jahren einen „grünen Stern“ für besondere Leistungen auf dem Gebiet einer nachhaltigen Gastronomie. Dabei verlässt sich der renommierte Fressführer auf Selbstauskünfte der Köche. Am Beispiel des Restaurants „Hirsch“ im schwäbischen Ellwangen (BIB Gourmand, Ausgabe 2024) klingt das so: Wir sind nun die 12. Generation, produzieren eigenen Strom, Bioabfall wird selbst kompostiert, Speiseabfälle werden einer nahe Biogasanlage zugeführt. Wir haben Kräuter, Streuobst, 90 Prozent der Produkte stammen aus Baden-Württemberg und wir küren regelmäßig unseren „regionalen Produzenten“ des Monats.“.
Anders als bei den berühmten roten Sternen (maximal drei) für die Leistungen der Küche werden die in Form eines Kleeblatts gestalteten „grünen Sterne“ nicht unabhängig geprüft, was dem Guide Kritik eingebracht hat. Das größte Kapital des Guide Michelin ist seine legendäre Unbestechlichkeit. Dafür hält man sich eine fest angestellte Truppe von Inspektoren, die anonym unterwegs sind und ihre Rechnungen selbst bezahlen. Das ist in der Branche nicht die Regel, wo viele Testberichte nicht die Druckerschwärze wert sind, mit der sie gedruckt wurden. Doch anonyme Tester können nicht in die Küche schauen, um zu prüfen, ob die Abfälle wirklich in der Biotonne landen oder der Kohlkopf vom Biobauern um die Ecke kommt.
Jetzt sah sich die Michelin-Redaktion offenbar genötigt, zu reagieren und stellte klar, dass der grüne Stern „weder ein Label noch eine Zertifizierung“ sei. Außerdem werde das Symbol „neu positioniert“, heißt es in schönstem PR-Slang. Es sei auf den Restaurantseiten nicht mehr an seiner ursprünglichen Stelle zu finden, sondern „neben dem Zitat der Küchenchefs“. Ziel sei es, den Fokus noch stärker „auf das Engagement der Akteure und ihren Beitrag zur „Zukunft der Gastronomie“ zu legen.
Trotzdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier eine ganze Menge Greenwashing im Spiel ist. Kaum eine Sphäre der Gesellschaft dürfte so wenig nachhaltig wie die Gastronomie, insbesondere die Luxusgastronomie. Wenn man sieht, mit welche ungeheurem, handwerklich-technischen Aufwand, mit welchem Personaleinsatz unter Verwendung von Produkten aus aller Welt in einem Gourmetlokal gekocht und serviert wird, sollte sich jeden Gedanken an grüne und sonstige Correctness abschminken.
Viele Gäste solcher Etablissements reisen von weither an, oft per Flugzeug. Und „Freunde“ stehen da auch nicht am Herd, sondern Schwerstarbeiter. Man mag es degoutant finden, wenn in großen Restaurants nach jedem Toilettengang oder jeder Zigarettenpause eine frische Serviette auf dem Tisch liegt. Aber es ist eben auch ein Zeichen höchster Wertschätzung. Der Gast ist König, die „Umwelt“ findet sich im Kleingedruckten.
Den Gipfel der Heuchelei in Sachen „Nachhaltigkeit“ erklomm wohl der französische Gastro-Superstar Alain Ducasse, der 2023 ein Pop-up-Restaurant in der Oase Al-Ula in Saudi-Arabien eröffnete mit beleuchteten Palmen und einem mutmaßlich rekordverdächtigen Energieverbrauch. Im gleichen Jahr lud er in Monaco zu einem gastronomischen „Gipfel der Nachhaltigkeit“, um darüber zu diskutieren „wie wir uns ernähren“ und dabei „unseren Planeten und die zukünftigen Generationen zu respektieren“. Resultat war eine „Charta nachhaltiger Ernährung“ für eine Küche, „die gleichzeitig umweltfreundlich, integrativ und gesundheitsfördernd ist“. Ausgerechnet Monaco, wo ganz viele dreckigen Schiffsdiesel schlürfende Luxusjachten vor Anker liegen und ganz viele schwere Limousinen unterwegs sind.
Darauf gleich noch ein Schlückchen Matcha Latte.
Foto: Pixabay


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